Freitag, 29. August 2014

Das Persönliche in der Politik


Frieden schließt man nicht mit Freunden.
Mit befreundeten Menschen zu sprechen, mit ihnen Friede-Freude-Eierkuchen-Bilder zu produzieren, die dann wie eine Leistungsshow der Jacketkronen-Hersteller wirken, kommt beim Wahlvolk gut an.
Wähler lieben Harmonie und Gleichklang.
Aber Wähler sind eben auch doof.
Sehr viel interessanter und wichtiger ist es natürlich dahin zu gehen wo es weh tut. Da wo man nicht auf Zustimmung trifft, gegensätzliche Positionen vertritt und Vorurteile abbaut.
Große Politiker tun das.
Ich erinnere an die Grüne Antje Vollmer, die sich schon vor 30 Jahren in die Höhle des Löwen wagte, um mit Erika Steinbachs rechts-revanchistischen Nazi-Schönrednern ins Gespräch zu kommen.
Grüne, Linke und Sozis meiden das braune Vertriebenen-Gesochs üblicherweise wie die Pest. Stattdessen werden dort konservative CSU‘ler abgefeiert, die sich ohne eine politische Leistung zu erbringen dann mit absoluten Mehrheiten gesegnet sehen. Kuschen und Feigheit belohnt der Urnenpöbel; politischen Mut à la Vollmer nicht.

All die Loblieder auf die Vertriebenen, all die Gesänge von der Verständigung, all das Gesäusel von der ausgestreckten Hand - verpufft, vergessen in diesem einen Moment, da der 46. Sudetendeutsche Tag an seinem Wendepunkt steht.
Wie immer werden dem Publikum der Hauptkundgebung an diesem Wochenende zunächst die Ehrengäste vorgestellt, eine lange Prozedur. So betet der Mann am Mikrophon ein kleines christsoziales Who's who? herunter, bevor er in aller Unschuld zum entscheidenden Satz anhebt: "Und wir begrüßen die Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, Dr. Antje Vollmer und Hans Klein."
Mitten im Satz bricht Protestgeheul los. Nicht nur ein paar Pfiffe gegen die Grüne Antje Vollmer, nein, ein wütendes Gebrüll; nicht von ein paar Krakeelern, sondern von einer unüberschaubaren Menge, von Zehntausenden; nicht von jung-lauten Protestierern, sondern von braven Rentnern, die sich am Morgen mühsam die langen Treppen der U-Bahn-Schächte neben den Münchner Messehallen heraufgequält hatten. So stehen sie nun da, recken die Fäuste gen Himmel und brüllen, was die Lungen hergeben, minutenlang. Ein paar Betagte, puterroten Kopfes, schreien: "Hängt sie auf!" - "Stellt sie an die Wand!"

Auch Gerd Schröder war einer, der den Mut hatte ausgetretene Pfade zu verlassen und sich die Höhle des Löwen zu wagen.
Anders als es heute oft dargestellt wird, betrieb Schröder schon zu Beginn seiner Kanzlerschaft ein strammes Reformprogramm und beendete das fröhliche Prassen und Schuldenmachen der Regierung Kohl-Merkel.
Er bekam heftigen Gegenwind, ließ sich aber ganz im Gegensatz zu seiner unablässig umfallenden Nachfolgerin nicht umpusten.
Im Gegenteil; er vertrat seine Positionen sogar auf dem erzkonservativen bauerntag, der üblicherweise für Sozialdemokraten ähnlich verlockend wie ein Bad in siedender Gülle ist.

Leise grummelte er unterdessen vor sich hin: "Ich kann''s nicht mehr hören, dieses Geschimpfe."
Dann bahnte sich Gerhard Schröder zwischen Transparenten und pfeifenden Landwirten hindurch den Weg ans Rednerpult. Der Ring der Sicherheitskräfte schloß sich um ihn, Regenschirme standen bereit, um den Regierungschef vor tieffliegenden Agrarprodukten zu schützen.
Das war auch nötig. Denn was ein Grußwort für den Deutschen Bauerntag in Cottbus werden sollte, geriet zu einer imposanten Schweiß-und-Tränen-Fanfare - und erboste die 3000 Landwirte zutiefst.
Nach drei Minuten wischte Schröder sein Redemanuskript fort und brüllte gegen die tutende Menge an, die wegen der geplanten Einschnitte bei der Altersversorgung, wegen höherer Versicherungsprämien und Dieselpreise tobte - und sich überhaupt wegen künftig sinkender EU-Subventionen schlecht behandelt fühlt.
Doch der Kanzler ließ sich von den erzürnten Bauern nicht schrecken. "Ich bin nicht gekommen, um eine einzige der Maßnahmen zurückzunehmen", verkündete er.
Die Halle wütete, doch Schröder verließ die Bühne in Jubelpose. Er hat die Tonlage für die Sommerpause angegeben. Die Botschaft: Wer versucht, Brocken aus dem Sparpaket von Finanzminister Hans Eichel zu brechen, der wird scheitern.

Vollmer und Schröder sind so gesehen auch GROßE Politiker, weil sie wie Sadat, Rabin und Gorbatschow nicht stromlinienförmig-amöbig durch die politische Landschaft mäanderten, sondern große Schritte dahin unternahmen, wo es wehtut.
Meister dieses Fachs sind aber auch Hans-Jürgen Wischnewski und Egon Bahr, die in tatsächlich feindlicher Umgebung agierten und Überzeugungsarbeit leisteten.
Für so eine Rückgrat-Politik braucht es charismatische Persönlichkeiten, die einerseits eine führende Rolle übernehmen können und andere mitreißen, andererseits aber auch ein tiefes Gespür für den Gegner haben und diesen nicht verprellen. Mediokren Polit-Flaschen wie John Major, José María Aznar oder Angela Merkel kann eben nie etwas Bahnbrechendes gelingen, wie die von Nelson Mandela oder Zoran Đinđić oder Jitzchak Rabin eingeleiteten Friedensprozesse.
Kursichtige und risikolose Politik à la Merkel erspart dafür in der Regel einige Gefahr für Leib und Leben.

42 mal wurde ein Attentat auf Hitler versucht - keins klappte.
Attentate treffen ja ohnehin immer die Falschen - erstaunlich oft sind es doch eher „die Guten“, die fanatische Hasser wegballern, wohingegen die schlimmsten Diktatoren oft Jahrzehnte hindurch ungehindert ihr Unheil anrichten können.
Was wäre denn gewesen, wenn es 1968 nicht Bobby Kennedy erwischt hätte und dieser statt Nixon Präsident geworden wäre?
Wie könnte es zwischen Israelis und Palästinensern stehen, wenn nicht ein rechtsextremer Widerling am 4.11.1995 Jitzchak Rabin erschossen hätte und dementsprechend auch Sharon nicht provozierend auf den Tempelberg (2000) gestapft wäre?
Man möchte noch 13 Jahre später in Tränen ausbrechen. Ja, es erwischt eher die Hoffnungsträger und die Lücken sind nicht zu füllen - was uns der "liebe Gott" wohl damit sagen will???
Zoran Đinđić am 12.03.2003, die potentielle EU-Kommissionspräsidentin Ylva Anna Maria Lindh am 11.September 2003, Sven Olof Joachim Palme am 28.02.1986, Muhammad Anwar as-Sadat am 06.10.1981, Indira Gandhi 31.10.84, Muhammad Baqir al-Hakim am 29.08.2003 oder auch Benazir Bhutto am 27.12.07.

Charismatische, große Politiker sind auch in der Lage in persönlichen Gesprächen viel zu erreichen.
Ich denke da an das legendäre Zusammentreffen des Ehepaars Schmidt mit Leonid Breschnew, das mitten im kalten Krieg und großer Angst vor den sowjetischen Atomraketen ganz wesentlich zur Entspannung beitrug.

Als Staatsmann wusste Schmidt: In privater Umgebung mit Bücherwand, Heimorgel und Hausbar taut so mancher Gesprächspartner auf. Der Mensch Schmidt zeigte aber auch mit Stolz seine bescheidenen Wohnverhältnisse. Leonid Breschnew wunderte sich bei seinem Besuch 1978, dass es keine Mauern vor dem Anwesen der Schmidts gab, wie er es aus den Privilegierten-Siedlungen in Moskau kannte. "Als wir ihm klargemacht hatten, dass hier kleine Angestellte wohnen und das eine Genossenschaftssiedlung ist, hat er sich ausgeschüttet vor Lachen", erinnert sich Loki Schmidt.
(HHAbla 22.12.2008)

Helmut Schmidt ist mit Sicherheit auch einer dieser Charismatiker, der anderen zuhören und sie überzeugen konnte.
Darüber ist der frömmelnde Weltpolitik-Zwerg Jimmy Carter übrigens immer noch wütend. Er konnte dem scharfen Intellekt Schmidts nichts entgegensetzen und mußte sich immer wieder gegen seinen Willen in von Schmidt geplante Beschlüsse einfügen.
Heute wissen wir auch was Hellmut Schmidt von Carter hielt: Wenig bis nichts.
Carter verstand die Zusammenhänge nicht und war vor allem aber nicht verlässlich. Auf inneramerikanischen Druck kippte er immer mal wieder international getroffene Absprachen.

Gerhard Schröder hat offensichtlich im persönlichen Umgang ähnliches Geschick. Es ist vielfach beschrieben, wie er in kleineren Runden auch politikferne Intellektuelle und insbesondere Künstler durch seine Bildung und enorme Auffassungsgabe beeindruckt.

Das diametrale Gegenteil ist auch hier Angela Merkel, die intellektuell und musisch nie über Volkschulniveau hinauskam. Sie verblüfft in privaten Treffen ebenso mit ihren ungepflegten Fingernägeln, wie mit frappierendem Desinteresse.

Christoph Schlingensief über seinen Abend im Kanzleramt:
Das war erschreckend. Da sitzen ihr [Merkel - Red] Henning Mankell und Tilda Swinton beim Kaffeetrinken gegenüber, und sie stellt keine Fragen. Da wird nur gefragt, ob man noch ein Stückchen Kuchen möchte. Im Büro zeigte sie uns so eine potthässliche Marmorplatte mit Kamelen an der Tränke, die ihr irgendein Ölscheich geschenkt hatte. Das mussten wir uns alle angucken. Und als ich mal auf das Adenauer-Porträt von Kokoschka zuging, was wirklich ein schönes Bild ist, dann sagte sie nur: “Ja, aber machen Sie es nicht kaputt, Herr Schlingensief, ha, ha, ha.” Mankell, Tilda und Wayne Wang haben hinterher unabhängig voneinander gefragt: “Ist die immer so?”

Es spricht Bände, daß Merkel trotz ihrer gewaltigen Erfahrung mit Gipfeln noch nie irgendein Durchbruch gelungen ist.
Sie erzielt stets nur Scheinergebnisse mit allerkleinster Münze.
Niemand wird verletzt, niemand wir etwas abverlangt, niemand nützt es was.
Merkel ist wenigstens so klug, daß sie auch gar nichts anderes will – außer hohlen Scheinlösungen, die in Wahrheit nichts bedeuten.

Wesentlich dümmer ist da Alexander Dobrindt, der in völliger Verkennung seines eigenen Intellekts tatsächlich dachte er könne im persönlichen Gespräch den Mächtigen EU-Kommissar Siim Kallas von seinem Maut-Konzept überzeugen.
An sich ist das legitim. Ein Helmut Schmidt könnte mit einem sinnvollen Konzept auch die Meinung eines bockigen EU-Oberen ändern.

Dorbindt ist aber erstens doof und hat zweitens ein doofes Konzept – so klappt es auch nicht im Vieraugengespräch.

Wenn es überhaupt je eine Hoffnung gab, dass ein Wandertrip mit dem Brüsseler Verkehrskommissar die Dobrindtsche Maut würde retten können, dann ist auch die jetzt hin. Diesen Freitag und Samstag hatte sich Alexander Dobrindt (CSU) mit Siim Kallas im Schloss Elmau einquartiert, vor Alpenpanorama wollte der Bundesverkehrsminister dem widerspenstigen Kommissar seine Mautpläne erläutern. […]
Zu Beginn der Woche melden sich die CDU-Chefs aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, Armin Laschet und Thomas Strobl, sie lehnen eine Maut in grenznahen Gebieten ab - aus Sorge um Tourismus, Einzelhandel und Handwerk an den Grenzen. Es ist ein Problem, das Dobrindt bis dahin immer abgetan hat. […] Sigmar Gabriel hat dafür diese Woche seine ganz eigene Offensive gestartet. Eine Kommission aus Bankern, Versicherern und Wissenschaftlern soll nach Wegen suchen, wie sich mehr privates Kapital für die Verkehrsinfrastruktur einsammeln lässt. Dobrindt, dessen Haus seit Langem an solchen Konzepten bastelt, wusste von dem neuen Zirkel nichts.



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