Sonntag, 20. Mai 2018

Meine tiefschwarze Seele.

Zur heutigen Ausgießung des Heigei habe ich meiner fröhlich-lockeren Stimmung entsprechend ein bißchen darüber gelesen, wie fürchterlich die Menschen sind und wie man es anstellen könnte die elende Homo-Sapiens-Infektion dieses Planeten zu stoppen.
Ich bin erstaunt wie doof ich bin; ausgerechnet ich, als weltgrößter Misanthrop, der seit Jahrzehnten gerne Emile M. Cioran liest, kannte die Begriffe „Antinatalismus“ und „Efilismus“ nicht.


Auch mein Jahrgangsgenosse Théophile de Giraud war bisher an mir vorbeigegangen.
Shame on me.

Also der Reihe nach:

1.)

Der große rumänisch-französische Philosoph Cioran (* 8. April 1911 in Rășinari in Siebenbürgen, Österreich-Ungarn; † 20. Juni 1995 in Paris), Sohn eines orthodoxen Priesters im multiethnischen Transsilvanien, ist Schüler Arthur Schopenhausers und wurde nach dem zweiten Weltkrieg zu einem radikaleren und pessimistischeren Nietzsche. Pessimistisch und zynisch schrieb er schon mit 20 Jahren in „Auf den Gipfeln der Verzweiflung“:

    „Ich weiß überhaupt nicht, weshalb wir hienieden etwas tun, warum wir Freude und Bestrebungen, Hoffnungen und Träume haben müssen. […] Aber was gibt es in dieser Welt schon zu gewinnen? […] Es gibt keinerlei Argumente für das Leben.“

Auf den Gipfeln der Verzweiflung, Das Buch der Täuschungen und Die Lehre vom Zerfall sind seine bedeutendsten Werke; am bekanntesten dürfte sein Spätwerk Vom Nachteil, geboren zu sein: Gedanken und Aphorismen von 1979 sein.

Cioran, aus Vom Nachteil, geboren zu sein

 2.)

Die Philosophie des Antinatalismus betrachtet das Bevölkerungswachstum außerordentlich skeptisch und spricht sich stark für Geburtenkontrolle aus.
Der Begriff geht auch auf Arthur Schopenhauer zurück und stammt vom lateinischen natalis, „zur Geburt gehörig“, ab.

3.)

Der Begriff des Efilismus entstand aus der Umkehrung von "life“ in "efil".
Elifisten sind deutlich radikaler als Antinatalisten. Darüber weiß ich fast nichts. Offenbar ist das Wort “efilism” in Amerika gebräuchlicher. Dazu ergoogele ich:

 Life always involves suffering, in obvious and subtle forms. Even when things seem good, we always feel an undercurrent of anxiety and uncertainty inside.

Depressions-Verstärker
 Mutmaßlich handelt es sich dabei um eine promortalistische Strömung, die auch aktiv gegen lebende Menschen denkt, während Antinatalisten nichts gegen bereits geborene Menschen haben (die können ja nichts dafür), sondern in der zukünftigen Kinderlosigkeit die Lösung globaler Probleme sehen.
Das unterstützte zum Beispiel auch Helmut Schmidt, der in seinen letzten drei Lebensjahrzehnten unermüdlich die Planetare Überbevölkerung als größtes Menschheitsproblem brandmarkte.
Im Zusammenhang mit den von Deutschland nicht erreichten „Klimazielen“ tauchte kürzlich eine Gespensterdiskussion auf, als Klimaforscher die unzureichenden Maßnahmen der Bundesregierung zur Reduzierung von CO2 kritisierten. Der katastrophalste CO2-Abdruck sei ein in den Industrienationen geborenes Kind.
Das stimmt zwar zweifellos, wurde aber sofort von allen erdenklichen Hohlköpfen professionell missverstanden und als Angriff auf ihre Kinder angesehen.

4.)

Der Belgier Théophile de Giraud ist offizieller Vertreter des Voluntary Human Extinction Movement, einer 1992 in den USA gegründeten Bewegung, die dem Antinatalismus einen Überbau gibt für den französischsprachigen Raum Europas. Der Dandy-Punk, Goth, Schriftsteller, Performance-Künstler und Philosoph tritt europaweit auf, um den Planeten zu retten.


Ein sehr höflicher Mensch, der sehr bestimmt auftritt, aber natürlich fast nie ernst genommen wird.
Wie sollte das auch gehen in einer Welt, die sich gegenwärtig während der sich anbahnenden Superkrisen, Superkriege und Superwahlergebnisse (Silvio Berlusconi, Brexit, Theresa May, Donald Trump, Recep Tayyip Erdoğan, Viktor Mihály Orbán, Roderigo Duterte, Mateusz Morawiecki) erst wochenlang damit beschäftigt welche Fußballmannschaften in welchen Ligen auf- und absteigen und nun seit Tagen die Berichterstattungen sämtlicher seriösen Nachrichtenportale mit Bildern einer Hochzeit flutet, da ein Ed Sheeran-Double, das gerade mal auf Platz sechs der britischen Thronfolge steht irgendein amerikanisches Seriendarsteller-Sternchen heiratete.
Das scheinen offenbar die wichtigsten Nachrichten zu sein, das scheint dem Hauptinteresse des Urnenpöbels zu entsprechen, während wir fleißig Waffen exportieren und dafür sorgen, daß täglich Myriaden Arme und Kinder krepieren.

Théophile de Giraud, unglücklich über seine Geburt, stellt diesem Irrsinn seine überaus beeindruckende Schriftstellerkarriere entgegen:

[…..] "Womit de Giraud einen Großteil seiner Zeit verbringt, zeigt auch der Schuhkarton, den er mitgebracht hat. Darin ist eine Auswahl der Bücher, die er in den letzten fast zwanzig Jahren verfasst hat. Keins davon ist übersetzt, aber die Titel sprechen für sich: Von der Unverschämtheit, sich fortzupflanzen (2000), Einhundert Haikus zur Beschwörung der Toten (2004), Die Kunst, die Fortpflanzer zu guillotinieren: Antinatalistisches Manifest (2006), Diogenesen: fluoreszente Gedichte zur Zeit zwischen zwei Genoziden (2008). Aphorismensammlung zum Nutzen künftiger Familizide (2013). Alle seine Verleger seien pleite, sagt er. Wenn jemand ein Buch von ihm bestelle, müsse er selbst ein paar Euro drauflegen, damit ein Exemplar gedruckt werde." [….]

Dabei hat der gute Mann so RECHT!

[….] Der Schmerz ist immer größer als das Glück
Wie begründet man, dass nichtleben besser ist als leben? Erstens sei der Schmerz, den man im Leben erleide, immer intensiver und anhaltender als das Wohlgefühl, sagt de Giraud. "Vergleichen Sie mal eine Migräne mit einem Orgasmus." Zweitens sei das Unglück immer schon präsenter als das Glück: "Es ist viel schwieriger und unwahrscheinlicher, glücklich zu werden, als unglücklich zu sein." Drittens brächten Glücks- und Unglücksempfinden ein jeweils anderes Zeitgefühl mit sich: "Unglück dehnt die Zeit, Glück komprimiert sie." In der Summe ergebe das eine Existenz, die man besser gar nicht erst anfangen sollte. Glücklich ist, wer nicht geboren wird. […..]

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