Samstag, 10. Oktober 2015

Zickzack-Sigi und TTIP

Klotzen und nicht kleckern, so offenbar das heutige Motto Sigmar Gabriels.
Eine ganzseitige TTIP-Anzeige auf Seite 5 der Wochenendausgabe der SZ des bmwi. Das ist richtig teuer.
Ich schätze mal, im hohen sechsstelligen, wenn nicht gar im siebenstelligen Bereich.
Gut so, als großer Anhänger der Print-Zeitungen freue ich mich über diese Finanzspritze für den Süddeutschen Verlag.
Wie kommt es zu dieser PR-Initiative des Vizekanzlers?

Die Deutschen sind ein unberechenbares Volk. Die größten Ungerechtigkeiten nehmen sie achselzuckend hin und bekunden dennoch bei jeder Umfrage zufrieden wie nie zu sein.
Milliardäre, die keine Steuern zahlen, Hundertausende Insassen von Pflegeheimen, die misshandelt werden, Zweiklassenmedizin, Waffenexporte, Durchmarsch von Lobbyisten in den Parlamenten, hunderte rechtsradikale Terroranschläge – all das stört niemand.
Ausgerechnet das Freihandelsabkommen TTIP regt den deutschen Michel aber gar fürchterlich auf.
Satte drei Millionen Unterschriften wurden dagegen in Europa gesammelt und heute marschierte der träge Teutone auf den Straßen Berlins.

Alle gegen TTIP
[….] Noch während auf der Bühne Vertreter von Gewerkschaften, Grünen, Linkspartei, Kirchen, Umweltverbänden und globalisierungskritischen Gruppierungen reden, muss sich der Zug in Bewegung zu setzen, um Platz zu machen für die, die im Bahnhofsgebäude darauf warten, sich anzuschließen. Von 250 000 Teilnehmern sprechen die Veranstalter später, die Polizei schätzt, es seien mindestens 150 000 gewesen. [….]  An diesem Samstag in Berlin wird deutlich, dass der Protest gegen TTIP die unterschiedlichsten Gruppen zusammenbringt. [….] Und alle miteinander kritisieren, dass TTIP hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werde und nicht einmal Abgeordnete der nationalen Parlamente das Recht hätten, die Verhandlungsunterlagen einzusehen. Dafür Lobbyisten aus der Wirtschaft - so der Vorwurf. Auch die Kritik an den internationalen Schiedsgerichten, die die TTIP-Entwürfe vorsehen, eint die Demonstranten.
[….] Auf der Bühne mühen sich die Sprecher ab, diesem Eindruck entgegenzutreten. "Wir sind gegen TTIP, nicht gegen die USA", sagt etwa Thilo Bode von der Verbraucherschutzorganisation foodwatch. Schließlich schwäche das Abkommen nicht nur die Rechte europäischer Parlamente, sondern auch die Rechte der US-Parlamentarier. Neben deutschen TTIP-Gegnern sprechen auf der Demonstration auch ein kanadischer Gewerkschaftsführer, ein US-amerikanischer Umweltaktivist und eine Anti-TTIP-Aktivistin aus Kamerun. [….]

Viele Leute empören sich gegen Sigmar Gabriel, der sich vom einstigen strammen TTIP-Befürworter nun zum öffentlichen Beschwichtiger gewandelt hat.
Anders als seine Kollegin Merkel, der dank ihrer politischen Teflon-Beschichtung (fast) nie etwas übel genommen wird, merkt es der SPD-Chef an seinen Umfragewerten wie unpopulär TTIP ist. Merkel und ihre CDU treten viel massiver für TTIP ein, ohne daß sie dafür abgestraft werden.
Dabei lügen die TTIP-Fans der Kanzlerinnenpartei, insbesondere der wirtschaftspolitische Sprecher Dr. Joachim Pfeiffer und der parlamentarische Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer, so dreist, daß selbst ich über die Chuzpe der CDU-Männer staune.

Sigmar Gabriel hingegen gehört zum Lager der TTIP-Freunde, die nicht mehr mit der Brechstange vorgehen, sehr wohl aber eine Gefahr für das Abkommen sehen und daher ihre PR-Mannschaft ausschwärmen lassen.

[….] Im Vorfeld der morgigen Großdemonstration gegen das Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA haben Politik und Industrie ihre Anstrengungen verstärkt, für das umstrittene Vertragswerk zu werben. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) veranstaltete Ende September gemeinsam mit der US-amerikanischen Handelskammer in Deutschland und dem deutsch-amerikanischen Elitenverband "Atlantik-Brücke" ein Symposion zu dem Kontrakt. Zudem überzog der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) die Hauptstadt unmittelbar vor der Protest-Kundgebung mit einer Plakataktion, welche die angeblichen Vorzüge der Vereinbarung herausstellt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion widmete dem Thema einen Kongress, an dem auch der US-amerikanische EU-Botschafter Anthony Gardner teilnahm. Überdies gaben die Unionsparteien eigens ein TTIP-Positionspapier heraus. Vor allem der CDU-Parlamentarier Joachim Pfeiffer verschärfte zuletzt den Ton gegenüber den Gegnern des Vertrags: In der Bundestagsdebatte zu TTIP Anfang Oktober sprach er von einer demokratisch nicht legitimierten, durch eine "Empörungsindustrie" initiierten Kampagne. In einem Zeitungsbeitrag warf er gleichzeitig namentlich den TTIP-Gegnern Campact, Attac und foodwatch vor, das Abkommen lediglich als Mobilisierungsinstrument für ihre eigenen Zwecke zu nutzen und bewusst Ängste zu schüren.[….] Mitte September drängte auch die Bundeskanzlerin erneut auf ein höheres Tempo bei den Gesprächen: "Überall um uns herum werden Freihandelsabkommen verhandelt - wir sollten nicht die Allerletzten sein." [….]

Gabriel schreibt in seiner Maxi-Zeitungsanzeige ebenso wie auf der Website seines Ministeriums, die Demonstranten hätten ja schon viel erreicht. Alles sei nun viel transparenter und er werde weiterhin dafür sorgen Transparenz zu schaffen.

…..heute wird in Berlin gegen TTIP demonstriert, weil sich viele Menschen Sorgen machen, dass die zwischen Europa und den USA zurzeit verhandelte „Transatlantische Handels und Investitionspartnerschaft“ (TTIP) die Lebensqualität in Europa und damit auch in Deutschland verschlechtern wird.
Die Umwelt und Verbraucherverbände, die Gewerkschaften und viele engagierte Bürgerinnen und Bürger haben schon viel erreicht: Sie haben die Öffentlichkeit und die Politik aufmerksam gemacht. Sie haben für deutlich mehr Transparenz in den Verhandlungen gesorgt. Und sie haben klargemacht, dass in Europa demokratisch gewählte Parlamente über Verbraucher und Umweltschutz, soziale Sicherheit und kulturelle Vielfalt entscheiden müssen. Und sonst niemand.

Lieber Herr Wirtschaftsminister! Natürlich ist es geschickt die TTIP-Skeptiker nicht einfach plump wie die CDU zu beschimpfen, sondern zu versuchen sie zu umgarnen, indem man sie ernstnimmt und auf ihre Sorgen eingeht.
So eine Strategie könnte funktionieren, wenn man TTIP will.

Aber so sagenhaft dreist zu lügen, in schwarz auf weiß gedruckten Offenen Briefen zu schreiben, es wäre bereits für Transparenz gesorgt, geht natürlich nicht, wenn man noch einen Hauch von Glaubwürdigkeit behalten will.

Gabriels „Sie haben für deutlich mehr Transparenz in den Verhandlungen gesorgtsieht in der Praxis so aus:

[….] Abgeordnete müssen leider draußen bleiben
[….]    Wahrscheinlich gibt es kein Abkommen, das in Deutschland mit größerem Argwohn betrachtet wird als TTIP. An diesem Samstag findet in Berlin eine Großdemonstration gegen das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA statt. Die Veranstalter erwarten mehr als 50 000 Teilnehmer. [….]
TTIP steht vor allem wegen der intransparenten Verhandlungen in der Kritik. Nicht einmal die Bundestagsabgeordneten dürfen Einsicht in die Verhandlungstexte nehmen. Entsprechend groß ist die Verärgerung vieler Parlamentarier über die "Transatlantic Trade and Investment Partnership". Seit 18. Mai gibt es in der US-Botschaft in Berlin zwar einen Leseraum, in dem die "konsolidierten Verhandlungstexte" eingesehen werden können - das sind Texte, die sowohl die Position der EU als auch die der USA kenntlich machen.
Aber der Zugang zu dem Raum ist streng reglementiert. Die Modalitäten wurden zwischen EU-Kommission und US-Seite verhandelt und festgelegt. Demnach dürfen nur Regierungsvertreter den Leseraum nutzen. [….] Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) beklagt den Ausschluss der Parlamentarier aus dem Leseraum schon länger. Im Juli beschwerte er sich beim US-Botschafter, aber ohne Erfolg. [….]  Lammert nutzte deshalb einen Besuch bei EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker Mitte September, um das Thema noch einmal anzusprechen. [….] Aus der Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Nachfrage der Grünen-Abgeordneten Katharina Dröge geht aber hervor, dass sich immer noch nichts getan hat. [….] Für Dröge ist das ein "untragbarer Zustand". Seit einem halben Jahr würden "in dem Leseraum nur wenige Meter vom Bundestag entfernt zentrale TTIP-Dokumente liegen", aber "wir Abgeordneten müssen aller schönen Worte zum Trotz weiter draußen bleiben".

Ich würde so gerne mehr Positives über Sigmar Gabriel schreiben, denn der Mann hat durchaus auch gute Seiten.
Aber sich angesichts dieser völlig absurden Geheimniskrämerei in so einer wichtigen Angelegenheit öffentlich zu brüsten, er habe für Transparenz gesorgt, ist …, äh, suboptimal.


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