Samstag, 12. September 2015

Was hat Frank-Walter denn jetzt?


Ja, sicher, Putin hat doch völlig Recht: Die Angriffe des westlichen Staaten auf Afghanistan (2001), den Irak (2003) und Libyen (2011) haben zwar die Zentralmacht weggefegt, aber dann ein Machtvakuum produziert, das zu einer deutlich schlimmeren Situation als vor den amerikanischen Attacken führte.
Im Gegensatz zu den Politblitzbirnen Merkel und Schäuble, die damals den Irakkrieg massiv befürworteten, haben die Allermeisten genau die Folgen auch kommen sehen.
Besonders abstrus ist die NATO-Sicht auf den Iran und seine angeblichen Versuche an Atomwaffen zu gelangen.
Hat sich denn niemand mal drei Minuten Zeit genommen, um vor den Attacken auf eine Karte zu sehen?
Der schiitische Iran war bis 2001 eingeklemmt von Feinden: Im Osten das sunnitische Afghanistan und im Westen der irakische Erzfeind.
Das Weiße Haus sorgte aber dafür, daß beide Regime weggefegt wurden und erteilte anhand von Irans beiden Co-Achse-des-Bösen-Mitgliedern eine klare Lektion: MIT Massenvernichtungswaffen (Nordkorea) wird man nicht von der USA bombardiert, OHNE Massenvernichtungswaffen (Irak) aber schon.
Ich meine, dabei handelt es sich um Zusammenhänge, die ein Siebtklässler verstehen kann.

Iraks Nachbarstaat Syrien unterstützte während des von Amerika maßgeblich provozierten Iran-Irak-Krieges (1980-1988) zwar den Iran, zu dem es traditionell freundschaftliche Beziehungen pflegt, aber die Gesellschaften des Iraks und Syriens wiesen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch viele Ähnlichkeiten auf.
Beide Länder wurden von der eher säkularen Baath-Partei regiert, die Religionsfreiheit und somit auch die Rechte der Christen garantierte. Kaum eine Frau trug in Damaskus oder Bagdad in den 1980er Jahren den Hidschab, beide Staaten investierten enorm in die Bildung und Krankenversorgung. Syrer und Iraker haben eine der niedrigsten Analphabeten-Quoten überhaupt.
Beide Regime gingen außerdem scharf gegen Islamisten und insbesondere Terrororganisationen wie Al Kaida vor. Bin Laden hatte überhaupt keine Chance in Syrien oder dem Irak Fuß zu fassen.

Das änderte sich fundamental mit dem Eingreifen der amerikanisch-britischen Koalition, die Merkel so glühend unterstützte:
Christen und andere Minderheiten wurden zu Freiwild, Islamisten erfuhren einen ungeheuren Machtzuwachs, sunnitische Terrorgruppen setzten sich in beiden Ländern fest; Al Kaida im Irak, anfangs eher die As Nusra-Front in Syrien.
Frauen wurden entrechtet, Kinder gingen nicht mehr zur Schule.
Eine ganze Generation Syrer fehlt jetzt im Bildungssystem.
Die Zentralgewalten implodierten, Bürgerkriege folgten.


Seit 2011 wurde der Staat Syrien de facto zerschlagen.
Der IS, der inzwischen weitgehend alle vorherigen sunnitischen Terrororganisationen assimiliert hat, kontrolliert große Gebiete Syriens (und des Iraks). Von den 21 Millionen Syrern wurden in vier Jahren mindestens 250.000 Menschen, also mehr als ein Prozent getötet. Über die Hälfte wurde zur Flucht gezwungen; 20 % der Menschen haben das Land verlassen müssen, rund ein Drittel flüchtete innerhalb Syriens vor den verschiedenen Akteuren des Bürgerkriegs.
Auf die Größe Deutschlands bezogen hieße das: Eine Millionen Tote, 17 Million Menschen ausgereist, 25 Millionen innerhalb Deutschlands auf der Flucht.

Damit ist eine der ältesten Kulturnationen der Erde kaputt. Völlig zerstört.

Seit vier Jahren beschränkt sich „der Westen“ auf ein achselzuckendes Zusehen – freilich nie ohne große Besorgnis auszudrücken.
Obama postulierte einst, der Einsatz von Massenvernichtungswaffen sei die rote Linie. Dann könne man nicht mehr tatenlos zusehen. Als Assad eines Tages dann genau das tat, indem er Chemiewaffen abfeuerte, knickte Obama ein und sah weiter zu.
In Syrien gibt es keine sympathischen Akteure, die man gern unterstützen würde. Im Wesentlichen sind es drei Gruppen, die Strippen ziehen.

1.   Die Exilregierung der Assad-Rebellen wechselt nahezu wöchentlich, ist total korrupt und kennt in ihrer Grausamkeit keine Skrupel.

2.   Baschar al Assad pflegt einen skurrilen Personenkult und schreckt bewiesenermaßen auch vor keiner Grausamkeit zurück.

3.   Dritter im Bunde ist der IS, für dessen moralische Bewertung mir gegenwärtig die Adjektive fehlen.

Der Worst Case wäre wohl ein Sieg des IS, der dann vermutlich als nächstes auf den Iran und den Kaukasus zugriffe.
Noch viel mehr Millionen Menschen müßten fliehen. Die Welt könnte in Flammen stehen.

Auf die Akteure 1 und 3 hat man ohnehin keinen Einfluss, es existieren zu niemand politische Beziehungen.
Bei Assad ist das immerhin anders. Er hat noch Freunde in Moskau und Teheran. Beide Staaten unterstützen ihn und haben traditionell großen Einfluss.

Statt nun wie die NATO dem Massenmord weiter tatenlos zuzusehen und Millionen Fliehende ins Elend zu stürzen, ist die einzige kleine Hoffnung ein Mann namens Wladimir Putin, der die Präsenz seiner Armee im russischen Marine-Stützpunkt Tartus stärkt.
Was Moskau genau vorhat, weiß man nicht, aber Washington und Berlin sind schon einmal vorsorglich total dagegen.

Auf massiven Druck der USA sperrte Bulgarien seinen Luftraum für russische Flugzeuge, so daß auf dem Luftwege keine Lieferungen mehr nach Tartus gelangen.
(Der russische Stützpunkt Tartus ist eine winzige Kaianlage im gleichnamigen syrischen Mittelmeerhafen. Maximal sind dort wenige hundert russische Soldaten untergebracht.)
Obama, der in seiner ganzen Dummheit Russland maximal zu beleidigen suchte, indem er es als „wenig bedeutende Regionalmacht“ verspottete, hat zwar auch keine Lösung gegen den IS, hasst aber Putin persönlich, so daß er ihm einen Erfolg missgönnt.
So ähnlich sehen es konservative deutsche Kommentatoren, die in der Funke-Mediengruppe oder bei Springer von „Putins Machtspielen“ orakeln. Er wolle ja nur seine Machtbasis vergrößern, wieder an Einfluss gewinnen und aus der Isolation entkommen.
Guten Morgen. Willkommen in der Wirklichkeit. Das ist es was Staaten tun. Ihre Interessen durchsetzen.
Will man lieber den IS-Bürgerkrieg eskalieren lassen, als Putin einen diplomatischen Erfolg zu gönnen?
Das wäre doch ein geringer Preis für eine Perspektive der zig Millionen Menschen im Irak und Syrien, die dem Terror ausgeliefert sind.
Falls es Putin gelänge den IS zu stoppen, ist das auf jeden Fall positiv – ob er nun zehn Nobelpreise dafür bekäme oder nicht.
Man kann sich aber seine Gesprächspartner nicht aussuchen.
Was sollte denn die Alternative sein?

Wladimir Putin hängt nicht an Assad persönlich. Er will für Russland eine aus seiner Sicht angemessene Rolle in der Welt. Und er hat Angst davor, dass der islamistische Terror des IS auch sein Land heimsucht.
All das könnte für Washington, Moskau, Teheran und die Europäer eine Gesprächsbasis schaffen, sofern es gelingt, die gemeinsamen Interessen - Beendigung des Krieges, Schutz gegen IS, Perspektiven für die Flüchtlinge - vor die trennenden Gegensätze zu stellen. Hier kommt Berlin ins Spiel. Ukrainekrise und Atomabkommen haben gezeigt: Derzeit gibt es kein anderes Land, das in den USA, in Russland und in Iran als Vermittler und Übersetzer der jeweils anderen Sichtweisen höheres Ansehen genießt als Deutschland. Das kann man mögen oder nicht. Aber eine Regierung, die seit Monaten über Verantwortung redet, muss diese Verantwortung jetzt annehmen.
Wer mit Assad redet, spricht ihn nicht frei. Niemand vergisst seine Gräueltaten. Und Putin erhält durch Gespräche keine Carte blanche für seine Ziele. Aber es ist bitter nötig, in dieser Krise die Prioritäten zu ändern: Zuerst muss über Waffenstillstand und Schutzzonen gesprochen werden, dann über Assads Zukunft.

Von CDU- und CSU-Politikern erwarte ich beim Thema Nahost-Politik und bei Flüchtlingspolitik jede Eselei. Davon haben wir genug gesehen.
Weswegen aber Außenminister Steinmeier auch sofort auf Konfrontation zu Russlands angeblicher Initiative geht, statt sofort nach Moskau zu reisen , um zu fragen, wie man helfen kann, bleibt mir ein Rätsel.

[…]  Der deutsche Außenminister spricht sich gegen etwaige militärische Aktivitäten Russlands im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) in Syrien aus. "Es kann nicht sein, dass jetzt wichtige Partner ... auf die militärische Karte setzen", äußerte Frank-Walter Steinmeier zu Berichten, denen zufolge Moskau seine Lieferungen von Kriegsgerät an die syrische Regierung stark ausweite und womöglich eigene Militäroperationen gegen den IS plane. Russland, das in der Weltpolitik zur Zeit allgemein seine Positionen stärkt, hat in den vergangenen Monaten auch seine Syrien-Aktivitäten beträchtlich ausgeweitet und ist jetzt dabei, eine Allianz gegen den IS unter Einschluss der Regierung von Bashar al Assad zu schmieden. Sollten die Bemühungen erfolgreich sein, würde Moskau dem Westen damit eine empfindliche diplomatische Niederlage bereiten. […]  Mittlerweile zeichnet sich dies auch im Syrien-Krieg ab. Seit Januar organisiert Russland immer wieder Gespräche mit der syrischen Opposition, darunter zunächst vor allem Organisationen, die in Syrien selbst tätig sind, den bewaffneten Aufstand jedoch ablehnen. Inzwischen haben sich auch Vertreter der zerstrittenen Exilopposition, die bislang recht eng mit dem Westen kooperierten und den Bürgerkrieg befeuern, zu Verhandlungen in Moskau aufgehalten. […]  

Gibt es im Außenamt nicht noch irgendwo ein Exemplar von „Diplomatie für Dummies“, in dem Steinmeier mal nachschlagen könnte, daß man sich seine Gesprächspartner nicht aussuchen kann? Daß man gerade mit denen sprechen muß, mit denen man einen Dissens hat?
Haben wir nicht spätestens unter GWB gelernt was für eine Sackgasse es ist alle Länder auszuschließen, die einem nicht 100% zustimmen?
Daß man insbesondere dann auf andere hören muß, wenn man selbst seit Jahren nicht das geringste Konzept hat und sich alles nur kontinuierlich verschlimmert?
Go, Putin!




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen